Was ist Performance?

Die Frage danach, was Performance ist, könnte ebenso gut mit der Umkehrung der Frage beantwortet werden: Was ist nicht Performance? Denn der Performance Begriff hat sich im Verlauf der Geschichte stets verändert und wird inzwischen in sehr vielen Bereichen und unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen benutzt.

Geschichtlicher Werdegang des Performance Begriffs

Ethnologe Milton Singer, Kulturanthropologe Victor Turner und Theateranthropologe Richard Schechner formulierten in den 1960 Jahren die These, dass Performances ein wesentlicher Bestandteil der Gewohnheiten, Praktiken und Rituale von Kulturen seien und zur alltagskulturellen Erfahrung gehörten: Wie wir Kleidung tragen, Körperpflege betreiben, Feste feiern oder Demonstrationen durchführen. Damit wurde eine lebhafte Forschung über die verschiedenen sozialen, kulturellen und ästhetischen Erscheinungsformen von Performances, verstanden als Aufführungen, eingeleitet. Ihr Forschungsgegenstand waren vor allem die «cultural performances», jene Aufführungen, die unseren Alltag prägen. Performances sind, so Victor Turner, eine Praxis, in der eine Kultur sich selbst erkennt.[1]

In seiner Einführung über Performance Studies beschreibt Richard Schechner acht verschiedene Situatioene in denen Performances stattfinden können. Diese geschehen eigenständig, oder auch überschneidend:

“1 in everyday life – cooking, socializing, “just living“
2 in the arts
3 in sports and other popular entertainments
4 in business
5 in technology
6 in sex
7 in ritual – sacred and secular
8 in play “[2]
Wir werden uns in diesem Beitrag hauptsächlich mit Punkt eins und zwei (nach Schechner) beschäftigen. Wo finden Performances im Alltag statt und wie sieht Performance aus, wenn es sich um ein künstlerisch-ästhetisches Konzept handelt.

Performance vs. performative Handlung

Wie auch auf der Seite „Was ist Performing?“ beschieben wird, wird in den Sprachwissenschaften (durch John L. Austin) die Begrifflichkeit des Performativen als etwas verstanden, das wirklichkeitskonstituierend ist. Performative Äußerungen sind solche, die in dem Moment, in dem sie ausgesprochen werden, eine Wirklichkeit erschaffen. Darunter fällt z.B. die Ehe, die Taufe aber auch die Aussprache einer Wette „Ich wette 10 € darauf, dass…“. Demnach sind also performative Handlungen, im kulturwissenschaftlichen Sinne, Handlungen, die in dem Moment des Vollzugs Tatsachen erschaffen, die von legitimierten Sprechern vollzogen, bzw. ausgesprochen werden, sowie die Tatsache, dass sie beglaubigt werden. [3]


ZUM NACHDENKEN:
KANN DAS STEHEN AN DER KASSENSCHLANGE IM SUPERMARKT EINE PERFORMANCE SEIN UND WENN JA, WAS MACHT DIESE DANN AUS IM UNTERSCHIED ZU DEM „GEWÖHNLICHEN“ SCHLANGESTEHEN ALS ALLTÄGLICHE HANDLUNG – ODER IST DIES ETWA IMMER EIN PERFORMATIVER AKT?


 

Alltägliche Handlung oder Performance?

Für die folgenden Erklärungen und Begriffsdefinitionen brauchen wir ein Beispiel.

Beispiel:
Wir stellen uns folgendes Szenario vor:

Teil A)
In einem Seminarraum einer Universität sind die Studierenden und auch die Dozentin anwesend. Die Zeit gibt vor, dass das Seminar nun anfangen soll und es wird dadurch begonnen, dass die Lehrende das Wort an die Studierenden richtet. Eine Studentin (im Folgenden X) kommt verspätet in den Seminarraum und versucht möglichst leise und unauffällig einen Platz einzunehmen, um den Unterricht nicht weiter zu stören. Sie hat sich noch nicht gesetzt, da bittet die Professorin X wieder aus dem Seminarraum herauszugehen und erneut hereinzukommen. X tut dies. Die anderen Studierenden, sowie die Dozentin beobachten sie dabei.

Teil B)
Nach einer Weile wiederholt sich Teil A, da ein weiterer Student (im Folgenden Y) ebenfalls verspätet den Raum betritt. Im Unterschied zu Teil A jedoch, ahnen die anderen Akteure (zuschauende Studierende) bereits, dass das Hereinkommen ein zweites Mal wiederholt werden wird und haben ihre Aufmerksamkeit bereits beim ersten verspäteten Hereinkommen auf Y gerichtet.

 

Im Folgenden soll verdeutlicht werden, welche Argumente es für die jeweiligen Thesen gibt:

  1. These: Das erste Hereinkommen von X ist eine alltägliche Handlung, das zweite eine Performance.
  2. These: Beides sind alltägliche Handlungen, wobei das zweite die Wiederholung der ersten Handlung ist.
  3. These: Beides ist eine Performance.

 

Argumente für These 1:

Um für die erste These Argumente zu finden, schauen wir zunächst auf ein Zitat Erving Goffmans:

„A „performance“ may be defined as all the activity of a given participant or a given occasion which serves to influence in any way any of the other participants. Taking a particular participant and his performance as a basic point of reference, we may refer to those who contribute to the other performances as the audience, observers, or co-participants. The pre-established pattern of action which is unfolded during a performance and which may be presented or played through on other occasions may be called a „part“ or a „routine.“ These situational terms can easily be related to conventional structural ones. When an Individual or performer plays the same part to the same audience on different occasions, a social relationship is likely to arise. Defining social role as the enactment of rights and duties attached to a given status, we can say that a social role will involve one or more parts and that each of these different parts may be presented by the performer on a series of occasions to the same kinds of audiences or to an audience of the same persons.”[4]

Goffman beschreibt Performance also als eine Aktivität, die in einem bestimmten Kontext stattfindet, die eine Rahmung erfährt und dadurch einen Sinnhorizont generiert. Wichtig hierbei sind alle Akteure, die an dem Szenario beteiligt sind und dazu gehören vor allem auch die Zuschauenden, das Publikum.
Im Goffmanschen Sinne brauchen wir Rahmungen, um überhaupt die Welt verstehen zu können. Wenn wir diese Rahmung nicht haben, sind wir völlig orientierungslos. Weil wir dann den Sinn von Aktivitäten innerhalb dieses Rahmens nicht verstehen können. Er versucht die Ordnungsmuster aufzuzeigen, die Menschen zur Anwendung bringen, um sich in ihrer Welt zurechtzufinden. Ansatzpunkt ist die in jeder Situation implizit oder explizit gestellte Frage „Was geht hier eigentlich vor?“[5]
Goffman zeigt „dass und wie Handlungen Signale ihrer Interpretierbarkeit mitführen. Worauf aber verweisen Handlungen als Zeichen?(…). Sie weisen notwendigerweise auf einen Kontext hin, aus dem sie verständlich werden [dem des Rahmens, Anmerk.des Verf.]. Dessen Zielrichtung und Leistungsfähigkeit besteht hauptsächlich in der Identifizierung, Differenzierung und Relationierung von Kontexten, Kontextualisierungen und Kontextebenen(…)“.[6]
Für Goffman gibt es die primären Rahmen (also die quasi „natürlichen“ Rahmen oder genauer Sinnhorizonte), in unserem Beispiel ein Universitäts- Seminarraum (es handelt sich nicht um ein Schlafzimmer oder ein Wohnzimmer). Der Übergeordnete Rahmen ist also der, einer Bildungsinstitution.

Der sekundäre Rahmen ist der, der in der jeweiligen Situation konstituiert wird. In diesen beiden Rahmen wird aufgeführt. Die Aufführung selbst wird durch den Rahmen bestimmt und umgekehrt bestimmt die Aufführung den Rahmen.

Rahmen und Rahmung sind im Werk von Erving Goffman als die zwei Seiten einer Medaille, der Medaille der sozialen Interaktion zu verstehen. Auch Rollenspiele sind eingebettet in einen Rahmen und in ihre Rahmung: Das Begriffspaar „Rahmen und Rahmung“ oder „frame and framing“ steht bei Goffman für die „Annahme und das Verständnis der Differenz von sozialem Sinn und sinnaktualisierender Praxis. Während Rahmen als Erzeugungsstrukturen definiert sind, die sich durch relative Stabilität, Autonomie und Immunität gegenüber der faktischen (Inter-)Aktion auszeichnen, erscheint die Rahmung, die Umsetzung von Sinn und der Sinn für Sinn, als kontingent, subjektiv anforderungsreich und (weil) offen und anfällig“.[7]
Für Goffman ist das „Selbst“ als lebendes und handelndes Subjekt und als soziales Objekt (der Wahrnehmung, Beobachtung, Zurechnung, Behandlung) durch eine „Vielzahl von Rahmen“ bestimmt.
Mit Goffman argumentiert handelt es sich also bei unserem Beispiel (Teil A) um einen Rahmenwechsel, bzw. eine Verschiebung des Rahmens und damit auch eine Veränderung des Kontextes.

Demnach wäre also das erste Hereinkommen von X eine alltägliche Handlung einer sozialen Praxis, bei der es keine strategische, künstlerische Entscheidung gab. Die soziale Choreografie gehört zu der Ordnung, zu der Studierende und Lehrende verabredet sind. Das zweite Hereinkommen, jedoch ist demnach eine Performance, weil eine Rahmung gesetzt und öffentlich verkündet wurde, sich damit der Kontext verändert hat und jede ausgeführte Bewegung/Handlung nun in diesem Kontext gelesen wird und damit eine Performance produziert.

Diese soeben beschriebene Rahmenverschiebung beinhaltet immer auch eine Wahrnehmungs- oder Aufmerksamkeitsverschiebung, durch die der primäre Rahmen reflektiert und die Normen, Regeln und Gesetze dieser Rahmung in Frage gestellt werden.
Durch diesen Rahmenwechsel verändert sich der Kontext und so kann eine alltägliche Handlung auch zu einer Performance werden, wenn einer der Akteure, den Rahmen verändert.

Dies bedeutet allerdings auch, dass in unserem Beispiel Teil B dieser Rahmenwechsel bereits VOR dem ersten Hereinkommen von Y stattgefunden hat. Bei den Akteuren (und damit sind in diesem Falle sowohl Dozentin als auch Studierende gemeint) hat eine Aufmerksamkeitsverschiebung stattgefunden, die die vermutlich alltägliche Handlung des Performers Y zu einer Performance macht allein aus dem Grund, weil sie als Performance betrachtet wird.


DEMNACH IST ES ALSO MÖGLICH, DASS EINE PERSON EINE PERFORMANCE DURCH- UND AUFFÜHRT OHNE DIES SELBST ZU WISSEN.


 

Durch den neuen Rahmen bzw. Sinnhorizont (es ist nicht nur der Kontext gemeint) ist die Aufmerksamkeit plötzlich auf die aktuelle Situation gelenkt – also von der reinen (akustischen) Störung wird es zu einem Akt. Und durch den Rahmenwechsel und die dadurch bedingte Aufmerksamkeitsverschiebung werden die Studierenden im Seminarraum, die vorher „nur“ Anwesende in diesem Seminarraum waren, zum Publikum.
In unserem Falle hat sich, mit Goffman gesprochen, der Rahmenwechsel auf der sekundären Ebene vollzogen. Das heißt durch die Bitte an die Studentin erneut den Raum zu betreten, wurde auf der sekundären Ebene ein Theaterrahmen in den primären Rahmen des universitären Kontextes gebracht. Die Kommilitoninnen werden also zu Zuschauern, weil der sekundäre Rahmen nun ein Theaterrahmen ist. Und die hereinkommende Studentin wird zur Akteurin, Performerin, Darstellerin eben aus diesem Grund.

In dieser Situation kann demnach auch das zweite Hereinkommen nicht als Wiederholung der ersten Handlung gesehen werden, da durch die Rahmenverschiebung etwas völlig anderes passierte.
Die Akteurin hat diesen Moment bewusster gestaltet, sich anders verhalten auch wissend, ob der Aufmerksamkeit des nun anwesenden Publikums.
Die Akteurin hat also den Rahmenwechsel auch selbst und in ihrem Sinne vollzogen.

Argumente für die These 2:

Hier ist die Einstellung des Performers (und der Zuschauenden) das entscheidende, die eben darüber bestimmt, ob etwas eine Performance ist oder nicht.
In diesem Falle ist es ausschließlich von der Wahrnehmung abhängig. Wenn die zuschauenden Studierenden oder die Performerin X die Wiederholung der ersten Handlung beispielsweise als Disziplinarmaßname sehen und die neue Rahmung also nicht als eine künstlerisch, strategische Setzung deuten, wäre in diesem Falle also weder die erste noch die zweite Handlung eine Performance, da die keiner sie als solche versteht.

Argumente für die 3. These:

Richard Schechner behauptet, dass Performances im täglichen Leben eine Rolle spielen und, dass Handlungen, die wir als alltägliche Handlungen verstehen, nicht nur durchgeführt, sondern im Akt der Durchführung bereits aufgeführt werden. Hierzu benutzt er den Begriff „restored behavior“. „Restored behavior“ beschreibt er als Schlüsselbegriff jeglicher Form von Performance – ob im Ritual, Sport, Spiel, der Kunst oder im alltäglichen Leben. Jede Handlung, die wir durchführen ist erlernt und wir führen eine Handlung aus, indem wir uns „benehmen, als seien wir jemand anderes“ oder indem „wir tun, was uns gesagt wurde“ oder „wie wir es gelernt haben“. Somit wird jede ausgeführte Handlung auch immer schon aufgeführt.[8]
Laut Schechner gibt es also den Unterschied zwischen den Begrifflichkeiten „alltägliche Handlung“ und „Performance“ überhaupt nicht. Und das Stehen in der Schlange im Supermarkt ist somit also immer eine Performance oder Aufführung. Da wir das Warten an der Kasse im Supermarkt performen.
Um wieder auf unser Beispiel zurückzukommen performt also die Studentin X schon beim ersten Mal die Rolle der Studentin, die zu spät den Seminarraum betritt. Wobei es sich in diesem Falle nicht um eine künstlerische Rahmung handelt, sondern die soziale Rahmung. Schechner begreift den Performancebegriff aus einer anthropologischen Sichtweise, nicht aus einer Theaterwissenschaftlichen.

Außerdem kurze Interviews von:
Richard Schechner (2001),
Kay Turner (2007),
Diana Taylor (2002),
André Lepecki (2002)
,
W. B. Worthen (2007).

 


FRAGE:
WENN JEDOCH ALLES WAS WIR TUN BEREITS EINE PERFORMANCE IST, WIE LÄSST SICH DANN DIESE ALLTÄGLICHE PERFORMANCE ODER AUFFÜHRUNG VON DER PERFORMANCE UNTERSCHEIDEN, DIE WIR MEINEN, WENN WIR VON EINEM KONZEPT REDEN, DASS IN EINEM THEATERRAHMEN STATTFINDET UND SOMIT AUCH EINE THEATERWISSENSCHAFTLICHE BEGRIFFLICHKEIT MEINT?


 

Kurzer Abstecher in die Rollentheorie

Im Englischen unterscheidet man zwischen:
to do – das Durchführen oder Ausführen einer Handlung
to act – das Schauspielen (hat etwas mit Rolle und der Verkörperung einer Rollenfigur zu tun)
to perform – hat mit dem Subjekt selbst zu tun (es wird eben KEINE Rolle gespielt)

In diesem Begriff performen, wenn man ihn so in das deutsche überträgt, ist also genau diese Idee eingeschrieben, dass es NICHT um Rolle und das Spielen oder Verkörpern einer Rollenfigur geht.

Kommen wir noch einmal kurz auf Erving Goffman zurück, der den Begriff der sozialen Rolle benutzt. Unter einer „sozialen Rolle“ versteht man in einem bestimmten gesellschaftlichen Typus die Erwartungen, die an den Inhaber einer sozialen Position/eines sozialen Rangs (Schrankenwärter/ Ärztin) heran getragen werden.
In der Rollentheorie, die Schechner anführt, ist die Grundidee, dass es ein Subjekt gibt, ein Individuum das mehrere kulturelle und soziale Rollen gleichzeitig hat. Studentin, Freundin, Ehefrau, Mutter, Tochter, usw. Unter einer „kulturellen Rolle“ versteht man die Übernahme der Gesamtheit der Verhaltenserwartungen, die in einer Kulturgemeinschaft an einen herangetragen werden.
D.h. in der klassischen Rollentheorie ist es so, dass das Subjekt, das Selbst ist das, was „dahinter“ ist und die Rolle ist die öffentliche Person. „Tochter-sein“ wird demnach gespielt, wenn die Mutter besucht wird etc.

Performance, als künstlerisches Format

Hier ein Video vom Oktober 2014 – Eric Shiner in Konversation mit RoseLee Goldberg

Wir haben inzwischen nicht nur festgestellt, dass es den Performancebegriff in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gibt, sondern wir haben mit zum Teil Goffman und Schechner festgestellt, dass wir es bei der Performance mit Rahmungen, Sinnhorizonten, möglicherweise mit Rahmenwechsel, mit einem Publikum zu tun haben. Außerdem haben wir mit den Performer*innen selbst und ihrem Selbstverständnis zu tun und wir haben es zu tun mit einem Wissen um die Situation oder die Rahmung der Situation auf beiden Seiten.

Wenn man nun von den Theaterwissenschaften her kommend auf den Begriff der Performance schaut, ist damit ein Aufführungsformat gemeint, bei der die Annahme des „Als-Ob“ wegfällt. Peter Simhandl macht in seiner 1996 erschienenen Theatergeschichte das „Als –Ob“ zu dem Kriterium anhand welchem Theater von Performance unterschieden werden kann. „Während der Schauspieler theatralisch handelt, das heißt gleichzeitig als Realexistenz und so, als ob er ein anderer wäre, präsentiert der Performer unmittelbar seine Person (…). Theater spielt sich im fiktiven Raum ab, Performance bezieht sich auf real vorhandene Räume,…“.[9]
Theateraufführungen produzieren Bedeutung immer gleichzeitig auf zwei Ebenen: auf einer referentiell (darstellenden, verweisenden „Als-Ob“-Ebene) und einer performativen Ebene (auf den konkreten Handlungsvollzug der Akteure bezogen). Während sich die referentielle Funktion darauf richtet was bzw. wer dargestellt wird, bezieht sich die performative Funktion darauf, wie der Akteur oder die Akteurin diese Darstellung konkret erreicht, z.B. wie verwendet er seine Stimme und seinen Körper als Material.[10]

Hans-Thies Lehmann spricht von einem „Einbruch des Realen“ in die theatrale Fiktion. Erspricht davon, dass die grundlegende Bedingung für den Einbruch des Realen ins Theater die Tatsache ist, dass es immer schon mit realem Material, realen Menschen umgeht, dass das Reale in der Fiktioin, das nicht Ästhetische im Ästhetischen enthalten ist. [11]


BEISPIEL:
DAS PERFORMANCEKOLLEKTIV SHE SHE POP [12] PERFORMT!
DIE PERFORMERIN MIEKE MATZKE SPIELT KEINE ROLLE, SONDERN ANNEMARIE MATZKE IST SIE SELBST – AUF DER BÜHNE.
SIE PERFORMT MIEKE MATZKE.


 

 

Im theaterwissenschaftlichen Kontext geht es also um ein Format einer Aufführung.
Um diesen Begriff zu erklären werden wir einen kurzen Vergleich von Aufführung und Inszenierung machen.

Aufführung vs. Inszenierung

Aufführung ist (wie Performance) ein Begriff, der in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen vorkommt. In den Sozialwissenschaften beispielsweise oder in der Theaterwissenschaft. Der Begriff der Inszenierung jedoch ist ein ganz klar theaterwissenschaftlicher Begriff. Der ein in Szene setzen meint.
Während eine Aufführung performativ ist und damit einmalig, unwiederholbar, situativ, ist eine Inszenierung repräsentativ, konzeptionell, vorbereitet, wiederholbar, vielleicht sogar schriftlich niedergelegt.

Bewegt man sich also in einer Theaterwissenschaft, schaut man bei der Analyse einer Aufführung auf andere Dinge, als bei der Analyse einer Inszenierung.


BEISPIEL:
INSZENIERUNGSANALYSE NACH PATRICE PAVIS:[13]

Fragebogen_nach_Patrice_Pavis


 

Wie oben beschrieben, handelt es sich also bei der Performance als künstlerischem Format um eine auf den konkreten Handlungsvollzug der Akteure bezogene Darstellung, wo das „Als-Ob“ eben KEINE Rolle spielt.

Der Performer und Choreograf Xavier Le Roy[14] hat sich in seinem Stück „Low Pieces“ 2011 mit der Frage beschäftigt, ob es möglich ist als Mensch Tiere, Pflanzen oder gar Dinge zu performen.

Das Stück spielt mit dem Moment des unbestimmbaren und mit dem Stück wird diese Frage an das Publikum weitergestellt.
Also, kann man einen menschlichen Körper so auf die Bühne bringen, dass er nicht WIE Tier oder WIE Pflanze ist, sondern, dass er Pflanze IST und Tier.

Xavier Le Roy über „Low Pieces“:

Im Grunde genommen kann diese Frage nur von dem jeweiligen Publikum beantwortet werden. Da das Publikum die Entscheidung trifft. Das Publikum entscheidet darüber, wie es wahrgenommen wird. Es entscheidet, ob es die Tänzer als Menschen wahrnimmt, oder fragmentarisch die Körperteile und deren Qualitäten oder assoziative Bilder, eine Herde von Tieren, Löwen, die sich in der Sonne wälzen oder Pflanzen im Wasser.
Wir wären also wieder bei Wahrnehmung und Sinnhorizonten angekommen.
Auf was wird fokussiert? Auf die Körper? Auf die Bewegung oder die Eigenschaften der Bewegung?
Ein weiteres Stück, das sich mit der umgekehrten Frage beschäftigt, ist das Stück Balthazar von David Weber-Krebs[15]

Die Frage ist hier eher die: wer motiviert und inszeniert hier? Es sieht so aus, als würde der Esel Balthazar Regie führen.
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Fußnoten:

  • [1] Vergl. Gabriele Klein, Was ist eigentlich eine Performance? Pro Heveltica, Kulturmagazin, 2011, 57(3), S. 6-11.
  • [2] Richard Schechner, Performance Studies. An Introduction. London: Routledge, 2002. S. 25.
  • [3] Vergl. Norman Franz, Die Sprechakttheorie nach Austin und Searle: Äußerungen als Handlung, Hamburg: Diplomica Verlag GmbH, 2014, S. 12.
  • [4] Erving Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life. New York: Doubleday Anchor Books, 1959. 17-36, hier S. 15-16.
  • [5] Erving Goffman, Rahmenanalyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen, Frankfurt/M Suhrkamp 1980, S. 16.
  • [6] Herbert Willems, Rahmen und Habitus. Zum theoretischen und methodischen Ansatz Erving Goffmans. Vergleiche, Anschlüsse und Anwendungen. Frankfurt/M: Suhrkamp 1997, S. 33.
  • [7] Herbert Willems, Rahmen und Habitus. Zum theoretischen und methodischen Ansatz Erving Goffmans. Vergleiche, Anschlüsse und Anwendungen. Frankfurt/M: Suhrkamp 1997, S. 46.
  • [8] Richard Schechner, Performance Studies. An Introduction. London: Routledge, 2002. S. 28.
  • [9] Peter Simhandl, Theatergeschichte in einem Band, Berlin: Henschel Verlag 1996, S. 442.
  • [10] Vergl. Erika Fischer-Lichte, Grenzgänge und Tauschhandel, in: Dies./ Friedemann Kreuder/ Isabel Pflug (Hrsg.): Theater seit den 60er Jahren. Tübingen/Basel: Kranke 1998, S. 14.
  • [11] Vergl. Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater, Frankfurt/M: Verlag der Autoren 1999, S. 176.
  • [12] http://www.sheshepop.de/
  • [13] Patrice Pavis, Semiotik der Theaterrezeption (Acta Romanica. 6). Tübingen: G. Narr 1988, S. 101f.
  • [14] http://xavierleroy.com/index.php
  • [15] http://davidweberkrebs.org/

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LINKS:

Eine Übersicht zur Geschichte der Performence Art bietet der Vortrag von Thomas Dreher: Performance Art nach 1945: Aktionstheater und Intermedia. (Vortrag aus Anlaß der Vorstellung des dreiteiligen DFG-Projektes „Das Problempotential der Nachkriegsavantgarden“ (Michael Backes, Thomas Dreher, Georg Jäger, Oliver Jahraus), Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe, 29. März 2001.)
Das e-Journal: MAP – Media | Archive | Performance
Wichtige Links und Kontakte zu Contemporary Performance findet ihr unter: Contemporary Performance
einige  Festivals:
Das MONTH OF PERFORMANCE ART – BERLIN
Das RAPID PULSE INTERNATIONAL PERFORMANCE ART FESTIVAL
Das BRISE°3 Performance Art Festival Flensburg/Augustenborg
Das PuSh Festival | International Performing Arts – Vancouver
Das Festival für Aktionskunst Bern_bone 18