Was ist Performing?

Text von Insa Griesing

Die Studienreise der MA-Studierenden der Performance Studies begann mit dem Seminar WAS IST PERFORMING? Im Folgenden ist der Seminarverlauf samt seiner Inhalte und Ergebnisse niedergeschrieben und um Quellenangaben und Verlinkungen ergänzt (Links zu weiterführenden Informationen sind blau unterlegt).

 

WAS VERSTEHEN WIR STUDIERENDE UNTER PERFORMING?

1. „Performing can be understood in different contexts: Performing on stage, everyday performances, socialised live performance
2. „Performing is an act of doing, of acting out. A process of becoming. It can be the realisation of an artistic performance and in every day live and in social performances.“
3. „Performing wird durch einen kommunikativen Akt realisiert, der auf Handlungen basiert.“
4. „Jetztlichkeit, Sichtbarkeit, Aktivität, Inaktivität, Liveness, Zeichenhaftigkeit, Gestenhaftigkeit.“
5. „Eine Überkategorie für Acting, die sich sowohl auf künstlerische Darstellung, als auch auf alltägliche Selbstdarstellung bezieht. Das Spiel einer Rolle kann also ebenso performt werden, wie die soziale Rolle.“
6. „Eine Aktivität, bei der ein Objekt oder System eigene Eigenschaften demonstriert, darstellt, verwendet, macht, sichtbar macht.“
7. „Eine bewusste Geste des erzählenden, poetischen Handelns in einem gesetzten Rahmen. Mit bewusster Geste sind zum Beispiel körperliche und sprachliche Ausdrucksformen gemeint, durch die eine Thematik bewusst durchgeführt wird.“
8. „Jegliche Aktivität oder Inaktivität, solange sie von Zuschauern beobachtet wird, bzw. in einem gewissen Rahmen stattfindet. Der Rahmen kann zum Beispiel thematisch, örtlich, oder zeitlich sein. In jedem Falle muss es eine Art von Grenze geben, die die Handlung formen kann. Die Zuschreibung kann zuvor, währenddessen, danach oder nach seinem Tod vollzogen werden. Wir performen alle, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Die wichtigsten Fragen lauten: Wie? und Wohin?“
9. „(Im Deutschen: durchführen, ausführen, verrichten) Kann als ein Zustand beschrieben werden, in dem sich die ausführende Person, der Performer oder Actor, befindet. Der Zustand kann sowohl bewusst, als auch unbewusst sein. Es ist viel mehr der Kontext, den der Zuschauer definiert. Performing kann des weiteren in weite Unterkategorien unterteilt werden, wie zum Beispiel: Acting.“
10. „Performing ist „something becoming something“. Es ist eine Handlungsaktion, die in der Co-Präsenz der anderen aufgeführt wird.“
11. „Performing ist eine Kunstform, die durch alltägliche Bewegung menschliche Situationen behandelt.“
12. „Es meint eine Art des Auftretens im Sinne der Alltagskultur, im Sinne der Performing Arts, im Sinne ritueller Handlungen.“

 

HISTORISCHER HINTERGRUND

Erste Versuche von Performance-Kunst lassen sich zwar bereits im Dadaismus finden, doch „Performance als ‚Performing Art‘ […] entsteht in den 1970er Jahren im Kontext zu Umbruchsprozessen zu einer spätmodernen Gesellschaft.“ (Klein u. Sting 2005)

Der Anthropologe und Theaterwissenschaftler Richard Schechner definiert Performing  weitgreifend als „broad spectrum of performing“ (Schechner 2002). Performing ereignet sich demnach nicht nur in szenischen Künsten sondern auch in Alltagskulturen, sowie in ethnischen-, nationalen- und Geschlechterkulturen.

Richard Schechner (23.08.1934) ist Regisseur, Dozent, Hochschullehrer, Theateranthropologe und Herausgeber der Tulane Drama ReviewThe Journal of Performance Studies (1962-69, seit 1986). Er lehrt seit 1967 als Professor Performance Studies an der NYU Tisch School of the Arts (vgl. Allain u. Harvie 2006). Im selben Jahr gründet Schechner The Performance Group (TPG) mit „dem Ziel, auf der Grundlage der Prinzipien des Environmental Theatre Normen und Masken des Alltagsleben zu durchbrechen. Die Darsteller(innen) sollen verwunden und verwundbar sein.“ (Herms 1986). Die erste Produktion dieser Gruppe war Dionysus in 69, in der Schechner und die Mitglieder der Gruppe nach neuen Möglichkeiten von Beteiligung und Interaktion, zwischen den Schauspielern und dem Publikum suchten. Durch die Durchbrechung der Trennung von Bühne und Zuschauerraum finden sie „neue, bislang ungewohnte Spielorte“.(Bräunlein 2012)

Schechner betrachtet das Theater als einen „Prozess des Tuns, Sehens, Auswertens, Kritisierens und erneuten Tuns“ (Schechner 1990) bei dem die Aufführung nur ein kleiner Teil sei. Sein Interesse liegt vor allem an dem sozialen Bestandteil des Aufführungsprozesses. Als Wissenschaftler der Performance untersucht Schechner interkulturelle Aufführungs-zusammenhänge, dabei berücksichtigt er in seiner Arbeit unterschiedliche kulturelle Phänomene und begründet seine eigene Richtung der Theater-Anthropologie.

In enger Zusammenarbeit mit dem Anthropologen Victor Turner entwickelte Schechner in den 70er Jahren Die Turner-Schechner-Schleife.

Victor W. Turner (28.05.1920-18.12.1983) gilt als einer der einflussreichsten Kulturwissenschaftlern der Nachkriegszeit. Gegen Ende seines Lebens widmete er sich verstärkt dem Theater, sowie unterschiedlichsten performativen Genre zu. Sein Interesse an der Verwandtschaft von Ritual Theater und Spiel, mündete in der Zusammenarbeit mit Schechner. Diese wiederum „in eine öffentliche Inszenierung von Teilen einer Ndembu-Ethnographie und in mehrerer Wenner-Gren Weltkonferenzen zu Ritual und Theater.“ (Bräunlein 2012). Er war es, der den Begriff des social drama einführte. Turner verwies darauf, das seine vier Phasen des sozialen Dramas (1. Öffentlicher Bruch mit der sozialen Ordnungen → 2. Krise/Konflikt des bisherigen Zusammenlabens, → 3. Versuch der Konfliktlösung durch durch gerichtliche Verfahren oder Rituale → 4. Wiedereingliederung oder Spaltung) Ähnlichkeiten zu den Verlaufsformen vor Tragödien aufwiesen (Buer 1995)

Zur weiteren Lektüre in: Victor Turner (1985): On the edge of the bush. Anthropology as Experience, The University of Arizona Press: Tucson, Arizona.

Die Turner-Schechner-Schleife

Die Turner-Schechner-Schleife: Turner und Schechner veranschaulichen ihre These graphisch mittels einer liegenden Achse […], die Turner-Schechner-Schleife geht damit über die scheinbare Behauptung von Widerspiegelung hinaus. Dargestellt sind gestaltende Kräfte und dynamische Vorgänge, die sich gegenseitig durchdringen. Victor Turner bringt das Konzept des sozialen Dramas verschiedentlich in Vergleich mit klassischen Bühnendramen. Das soziale Drama bildet das Scharnier zwischen einer Symbol- und Ritual-Ethnographie und Schechners Performance-Theorie.“ (Bräunlein 2012, Bildquelle: Eben da, S. 105)

Schechner gründete 1980 den Studiengang Performance Studies an der NYU Tisch School of the Arts. Bekannte Professoren sind u.a. Diana Taylor (The Archive and the Repertoire: Performing Cultural Memory in the Americas. Dure University Press: Durham und London 2003.), Ande Lepeki (Exhausting Dance. Performance in the politics of movement. Routledge: New York 2006, deutsche Übersetzung: Option Tanz. Performance und die Politik der Bewegung. Recherchen 50. Theater der Zeit: Podewil 2008), und Peggy Phelan. Vor allem Peggy Phelan war es, die die Frage stellte: Wie kann künstlerische Performance heute kritisch sein? Sie verwies auf die Möglichkeit der Absenz. Ihr zufolge kann sich die künstlerische Performance gegenüber der Alltagsperformance einzig durch das Entschwinden als kritisch formatieren.

Peggy Phelan (12.06.1948) ist Professorin für Theater & Performance Studies an der Standford University und Autorin zahlreicher Schriften. Für Phelan ist das stärkste Argument der Performance die Nicht(re)produktivität. „Nur durch die Abwesenheit als etwas, das nicht sein kann, öffnet sich die Performance, für die Erfahrung, die sich dem reinen Spektakel, das Erfüllung im Moment verspricht, widersetzt. Performance spielt mit der Abwesenheit, deren ultimativer Horizont der Tod ist.“ (Sigmund 2006)

Phelan stellte fest: „Performances only life is in the present. Performances cannot be saved, recorded, documented, or otherwise participate in the circulation of representations of representation. Once it does so, it becomes something other than performance. To the degree that performance attempts to enter the economy of reproduction it betrays and lessens the promise of its own ontrology.Mit der Veröffentlichung ihrer Thesen (Unmarked: the politics of performance. Routledge: New York 1993. und The Ends of Performance. NYU Press: New York 1998.) löste sie damals eine wichtige Debatte in den Performance Studies aus.

Rückte damals mit dem Flüchtigen, das Fluide und das Ephemere (hier zu veröffentlichte auch Bojana Kunst – u.a.: The Impossible Body. Body and Machine: Theatre, Representation of the Body and Relation to the Artificial. Maska: Ljubljana, Slovenia 1999. und On strategies in Contemporary Performing Arts. In: Magazine for Contemporary Performing Arts, January, Maska: Ljubljana, Slovenia 2003.) auch das Verschwinden und die Zeitlichkeit in den Fokus der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit, so ist es heute die Evidenz und die Frage darum, wie diese in der szenischen Kunst erzeugt werden kann. (Eine wichtige Publikation hierzu ist: Siegmund, Judith (2007): Die Evidenz der Kunst. Künstlerisches Handeln als ästhetische Kommunikation. Transcript Verlag: Bielefeld 2015.)

 

NACH SCHECHNER:

Performing on stage, performing in special situations (public ceremonies, for example), and performing in everyday life are a continuum. These various kinds of performing occur in widely divergent circumstances, from private solo shows before the mirror to large-scale public events and rituals, from shaman healing rituals to identity -changing trances, from theatre and dance to the great and small roles of every life. This broad spectrum of performing can be depieted as a continuum with each category leading to, into the next.“ (Schechner 2002)

Beispiel: Performing in Trial – Der Adolf Eichmann Prozess

Für dieses “continuum” definiert Schechner die Kategorien: Acting, Realistic acting, Brechtian Acting, Codified Acting, Tance Acting, Hybrid Acting und Performing in Everyday Life.

Richard Schechner teilt „to perform“ in vier unterschiedliche Kategorien ein, welche einer unbedingten Unterscheidung bedürfen: Being, Doing, Showing doing, Explaining showing doing.

 Being” is existence itself. “Doing” is the activity of all that exists …“Showing doing” is performing: pointing to, underlining, and displaying. “Explaining „showing doing‟” is the work of performance studies.” Nach Schechenr kann „Being“ sowohl statisch oder aktiv sein, als auch linear oder zirkular, materiell oder spirituell. „Being“ sei als philosophische Kategorie zu sehen, die alles aufzeigt, was Menschen als die „ultimative Realität betrachten“. Doing“ and „Showing Doing“ stellen dagegen eine Aktivität dar. Diese beiden Kategorien sind immer in Bewegung und in ständiger Veränderung. (Vgl. Schechner 2002)

Unter der Überschrift: What Are We Performing and How Do We Know That? („A plenary session at Performing the World 2012“, veranstalltet von Dan Friedman und Richard Schechner) finden Sie hier eine aktuelle  Diskussion:

Laut Schechners Definition findet in allen Alltagskulturen Performance statt. Damit vertritt er eine anthropologische Sicht, der zufolge alle Menschen das was sie tun auch ausführen.  performen. Die Performance ist bei Schechner stark in rituelle Praxis eingebunden. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht kommt dazu die gesellschaftliche Kontextualisierung: Wenn beispielsweise nach Schechner eine Unterkategorie des Performing das Acting (eine Rolle gut zu spielen) ist, dann würde das – übertragen auf die Alltagskulturen aus soziologischer Sicht – bedeuten, dass das Verhältnis von Selbst und Rolle als solches heute nicht mehr existiert, denn die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit besteht als Vorstellung und Denkfigur des 19. Jahrhunderts (beschrieben von dem Soziologen Richard Sennett in seinem Werk: Der Verfall des öffentlichen Lebens, die Tyrannei der Identität. S. Fischerverlag: Frankfurt am Main 1986). Beispiel: Was ist Performance? -> Kurzer Abstecher in die Rollentheorie

Der damit einhergehende Differenzgedanke zwischen dem Handeln einer Person und ihrem Sein (aus diesem Gedanken heraus entsteht auch Der Neurotische Charakter von Sigmund Freud und später Der autoritäre Charakter von Theodor W. Adorno – Erstmals veröffentlicht in: Adorno, Theodor W. : The Authoritarian Personality. veröffentlicht in vier Bänden der „Studies in Prejudice“, Harper & Bros., New York 1950.)  weicht im Verlauf des 20. Jahrhunderts innerhalb des westlichen Kulturkreises auf. Der gesellschaftliche Charakter verändert infolgedessen seinen Typus hin zum Narzisstischen Charakter, der sich u.a. dadurch auszeichnet, dass er nur solche Eigenschaften hervorhebt, die ihm zu einer Position verhelfen. Die Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatheit verliert heute dadurch an Schärfe. Dazu kommt der gesellschaftliche Wandel von der Arbeits- zur Konsumgesellschaft ( Hierzu die kritische Sicht von Peter-Paul Benzinger: Von der Arbeits- zur Konsumgesellschaft? Kritik eines Leitmotivs der deutschsprachigen Zeitgeschichtsschreibung. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 12, 2015, Heft 1) und dem Leben im Hier und Jetzt.

Dieser grundlegende Wandel wirkt sich auch auf die Bedeutung des Performing aus, denn das Performen endet heute nicht mehr an der Haustür, da die öffentliche Inszenierung des Privaten längst überall in der Alltagskultur stattfindet. Beispiel: Was ist Performance? -> Argumente für These 1

ALLTAGS- ODER KÜNSTLERISCHE PERFORMANCE?

Wenn überall performt wird und zugleich die Künste im öffentlichen Raum agieren, gibt es dann einen Unterschied zum künstlerischen performen? Und wenn es einen Unterschied gib, worin lässt er sich verankern?


Im Verlauf des Seminars wurden folgende Kriterien zur möglichen Unterscheidung zwischen Alltagsperformance und Künstlerischer Performance festgelegt:

1. Es ist der Kontext, der die Performance als solche bestimmt.
2. Es sind die Zuschauer, die die Performance als solche beglaubigen.
3. Es ist eine kritische, bzw. reflexive Auseinandersetzung mit der Performance, ihren Tools und Codes und das Finden einer ästhetische Sprache dafür.
4. Es bedarf der Selbstbezeichnung als Performer.
5. Es ist die Art und Weise, in der die Performance ausgeführt wird.
6. Es ist der Ort, bzw. Raum, der die Performance als solche bestimmt.

In jedem Fall bedarf es eines Wissens (dem des Performenden, bzw. dem der Zuschauenden) durch den Aspekte der Performance als künstlerische Performance encodiert und decodiert werden. Die Differenz zwischen Alltagsperformance und künstlerischer Performance hängt demnach entscheidend vom Wissensbestand ab und der Überlegung des Wohin und Womit. Das bedeutet, dass in diesem Fall das klassische Sender-Empfänger-Modell hinfällig wird.

Zum Verhältnis von Encodierung und Decodierung während des Performens

PS_Ekeby_Juli_2015 (8)Das Encoder-/Decoder-Modell (Soziologen Stuart Hall, der das Kommunikations-Modell einer Sender-Nachricht-Empfänger-Struktur stark kritisierte) folgt einem Prozess der Kommunikation, bei dem eine innere Repräsentation mit Hilfe eines bestimmten Codes verschlüsselt wird. Diese Verschlüsselung nennt man Encodierung. Über einen Kommunikationskanal wird die verschlüsselte Botschaft zu den Adressaten der Botschaft geleitet und muss von ihnen wiederum decodiert, also entschlüsselt werden. Bei einer Performance kann die Encodierung des Ausführenden von den Zuschauenden nicht nur völlig anders decodiert werden, es kann auch zur Decodierung vermeintlicher Encodierungen kommen, die nicht als solche vom Performer vorgesehen sind. Andererseits können Encodierungen von den Zuschauenden auch unbeachtet bleiben. Darüber hinaus findet jeder Zuschauende andere Anknüpfungspunkte, die für ihn das Performen als Performen auszeichnet. (Fotografie: Insa Griesing, Ekeby 2015)

Performig wird im Verlauf des Seminars als Art und Weise der Durchführung beschrieben. Oder genauer: Als das Verhältnis von Durchführung und Aufführung.

Ein Beispiel ist die Hochzeit:

Eine Hochzeit muss sowohl aufgeführt, als auch durchgeführt werden. Die rituelle Praxis (die Vermählung durch den Standesbeamten, das Tauschen der Ringe, etc.) wird durchgeführt und durch die Trauzeugen und die Gäste beglaubigt. Zugleich wird die Hochzeit durch die Wahl des Ortes, der Kleidung, der Musik, sowie der Ausstattung der Feier, etc. auch aufgeführt. Im Ritual selbst liegt demnach etwas Theatrales.

John Langshaw Austin (26.03.1911 bis 08.02.1960) war Philosoph und der Begründer der Sprechakttheorie. Austin kritisierte die traditionelle Sprachphilosophie, in der alle Sätze als Aussagen behandelt werden, da diese lediglich verifizierbare/falsifizierbare Sachverhalte konstatieren. Laut Austin könne man mit Sprache nicht nur die Welt beschreiben, sondern mit sprachlichen Äußerungen auch Handlungen vollziehen, weshalb sich ihre Bedeutung erst im Gebrauch einlöst.

Austin unterscheidet zwischen konstativen und performativen Äußerungen. Mit konstativen Äußerungen trifft man Festlegungen über Tatsachen der faktischen Welt (Beispiel: “Das Essen ist versalzen.“). Diese können sich als wahr, falsch oder unsinnig herausstellen. Dem entgegen führt man mit einer performativen Äußerung eine Handlung aus, die die Tatsache erst schafft.

Performative Äußerungen sind nach Austin nicht wahr oder falsch. Sie beschreiben, berichten, oder behaupten auch nicht, sondern mit dem Äußern des Satzes wird die Handlung (oder ein Teil der Handlung) vollzogen. Ein Beispiel: „Ich erkläre Sie hiermit für schuldig.“. (Vgl. Franz 2014)

In Anlehnung an Austins Sprechakttheorie beschreiben die Ethnologen Ursula Rao und Klaus-Peter Köpping Rituale als „transformierende performative Akte“, weil diese über ihren semantischen Gehalt hinaus eine Bedeutung haben, die auf ihre Effektivität als Handlungen zurück geht. Diese Effektivität wird durch den Gebrauch multipler Medien (Lieder, Tänze, Musik, Formeln, Gaben) „sowie durch die den Ritualen eigentümliche formalisierte und redundante Form erzeugt. Rituale sind damit kulturelle Inszenierungen (Performanzen), die durch ihre spezifische Ausstattung eine gesteigerte Form sozialer Kommunikation erzeugen.“ (Vgl. Rao u. Köpping 2000)

GRENZEN DER PERFORMANCE

Weiterführend stellte sich im Seminar die Frage nach den Grenzen der Performance:

Ist der Schlaf eine Performance oder schläft man einfach?

Man kann das Sterben performen, aber kann man den Tod performen?

(Nicht im Sinne einer Erinnerungskultur, oder als Moment zwischen Anwesenheit und Abwesenheit, sondern den Tod selbst.)

 

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 Literaturverzeichnis:

Allain, Paul; Harvie, Jen (2006): Schechner, Richard. In: The Routledge Companion to Theatre and Performance. Routledge: New York, S. 61-62.

Bräunlein, Peter J. (2012): Vom Ritual zum Theater – zurück. In: Zur Aktualität von Victor W. Turner: Einleitung in sein Werk, Springer-Verlag: Wiesbaden, S. 101, 105.

Buer, Ferdinand (1995): PsychoDrama. Ein antikes Ritual. In: Psychodrama und Gesellschaft. Wege zur sozialen Erneuerung von unten. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Springer Fachmedien-Wiesbaden GmbH: Wiesbaden, 2010, S.57.

Engler, Balz (1988): Text, Theater, Spiel, Fest: Was ist ein Festspiel? In: Engler, Balz; Kreis, Georg (Hrsg.) Das Festspiel: Formen, Funktionen, Perspektiven. Schweizer Theaterjahrbuch Nr. 49. Willisau: Theaterkultur-Verlag, S 29-35.

Franz, Norman (2014): Die Sprechakttheorie nach Austin und Searle: Äußerungen als Handlung, Diplomica Verlag GmbH: Hamburg, S. 12.

Herms, Dieter (1986): Performance Group. In: Brauneck, Manfred; Schneilin, Gérartd (Hrsg.) Theaterlexikon 1, Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. , 5. vollständig überarbeitete Ausgabe, 2007. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH: Reinbek bei Hamburg, S. 779-780.

Klein, Gabriele; Sting, Wolfgang (2005): Performance. Positionen zur zeitgenössischen szenischen Kunst. Transcript Verlag: Bielefeld, S. 11.

Köpping, Klaus-Peter; Rao, Ursula (2000): Im Rausch des Rituals. Gestaltung und Transformation der Wirklichkeit in körperlicher Performanz (Performanzen. Interkulturelle Stidien zu Ritual, Spiel und Theater). Band1. LIT-Verlag Münster, Hamburg, London, S. 8.

Phelan, Peggy (1993): Umnarked. The Politics of Performance. London. New York, S. 146.

Schechner, Richard (2002): Performance Studies. An introduktion. Routledge: New York, S. 22, 143, 147-179.

Schechner, Richard (1990): Theater-Anthropologie, Spiel und Ritual im Kulturvergleich, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH: Reinbek bei Hamburg, S. 39.

Siegmund, Gerald (2006): II. Präsenz und Abwesenheit. Peggy Phelans Politik der Abwesenheit. In (Hrsg.) Forsythe, William; Bel, Jérôme; Le Roy, Xavier; Stuart; Meg: Abwesenheit: Eine performative Ästhetik des Tanzes. Transcript Verlag: Bielefeld, S. 68.